Der russische Angriff auf die Ukraine wird weitreichende weltpolitische und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Er hat die Sicherheitsarchitektur in Europa bereits jetzt grundlegend verändert. Die weitere Entwicklung hängt vom Ausgang der aktuellen Krise ab. Dr. Michael Heise über mögliche Szenarien.
Mit Blick auf die aktuelle Situation sind vor allen zwei Szenarien denkbar: Kommt es zu einer baldigen Aufnahme von Verhandlungen und einem Waffenstillstand könnte das Schlimmste noch verhindert werden. Kommt es dagegen zu einer Eskalation der Kriegshandlungen durch Russland und eine Ablehnung von Verhandlungen, ist ein dauerhafter Schaden für die Sicherheitslage in der Welt und für Russland selbst zu erwarten, dessen Präsident sich damit weiter aus der zivilisierten Weltgemeinschaft entfernt.
Die aktuelle Krise zeigt in großer Schärfe, dass es dem Westen in den vergangenen gut 30 Jahren, seit dem Zerfall der Sowjetunion, nicht gelungen ist, Russland an die westliche Allianz zu binden und eine partnerschaftliche Kooperation zu sichern. Die Ostpolitik der USA, der EU und auch Deutschlands muss sich dieses Versagen eingestehen. Es ist dem westlichen Bündnis nicht gelungen, aus einem Feind einen Verbündeten zu machen. Im Gegenteil: Seit vielen Jahren werden vom russischen Präsident Putin imperialistische Ziele formuliert und mit völkerrechtswidrigen militärischen Mitteln durchgesetzt.
Was für ein Kontrast zu den Jahren der Liberalisierung und dem Zerfall der Sowjetunion in den frühen neunziger Jahren, als man eine enge Kooperation des westlichen Bündnisses mit Russland diskutierte und sogar einen NATO-Beitritt des Landes nicht ausschloss. Es bleibt zu hoffen, dass aus dieser Entwicklung die richtigen Lehren gezogen werden. Sicherlich müssen jetzt harte Sanktionen gegenüber Russland erfolgen und an einer Aufrüstung militärischer Verteidigungskapazitäten geht auch kein Weg vorbei. Gleichzeitig gilt es aber, den Weg zurück zum Verhandlungstisch offen zu halten und die Tür zum Westen nicht ganz zuzuschlagen.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise
Die Entwicklung der kommenden Monate wird vor allem im Zeichen großer Unsicherheit über russisches Öl, Gaslieferungen und die Sanktionen im Finanzsektor stehen. Überdies wird der Ausfall von Vorleistungen aus Russland sowie der Ukraine und die Blockierung von Verkehrswegen weitere Produktionsstörungen nach sich ziehen. Für die Weltwirtschaft insgesamt hat die Ukraine Krise die Inflations- und die Konjunkturrisiken deutlich erhöht.
Die Sanktionen des Westens werden dazu führen, dass Russland keinen Zugriff mehr auf benötigte Technologien aus dem Westen hat und vom internationalen Finanzmarkt abgeschnitten sein wird. Die wird die russische Wirtschaft weiter schwächen, aber nicht zu einem Zusammenbruch führen. Die russische Wirtschaft ist aufgrund hoher Energiepreise derzeit in einer besseren Verfassung als bei der Krim-Annexion 2014. Die Staatsschulden Russlands sind im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sehr niedrig (circa 19%), der Haushalt ist aufgrund hoher Öl- und Gaspreise weitgehend ausgeglichen und das Land hat über viele Jahre Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet, die zu einem Bestand an Devisenreserven von circa 630 Milliarden $ geführt haben.
Die Verwendung der Devisenreserven, die in Dollar, Euro, Pfund, Franken oder Yen gehalten werden, ist allerdings durch die Sanktionen stark eingeschränkt. Welchen Anteil diese Währungen aktuell an den gesamten Devisenreserven haben, ist nicht bekannt. Schon im vergangenen Jahr war zu beobachten, dass etwa der Dollarbestand eher reduziert wurde und im Gegenzug die Anteile der Goldreserven und des chinesischen Yuan gestiegen sind.
Die russische Volkswirtschaft wird in Entwicklung und Modernisierung langfristig zurückgeworfen
Schwerwiegende Auswirkungen für Russland, allerdings auch für die westliche Welt, dürfte der Ausschluss russischer Banken aus dem Kommunikationssystem des internationalen Zahlungsverkehrs (Swift) haben. Fraglich ist, inwieweit gegenseitig bestehende Forderungen noch beglichen werden. Auch ist es denkbar, dass Russland als Gegensanktion Energielieferungen in den Westen unterbindet, obwohl der Energiehandel auch weiter über Swift abgewickelt werden darf. Die nuklearen Drohungen von Herrn Putin zeigen, dass er keine roten Linien kennt.
All diese Entwicklungen werden die russische Volkswirtschaft langfristig in ihrer Entwicklung und Modernisierung zurückwerfen. Westliche Länder werden nun mit noch größerem Nachdruck eine Unabhängigkeit von russischen Energiequellen anstreben, und Russland wird bei seiner technologischen Entwicklung kaum auf die Partnerschaft mit westlichen Ländern bauen können. Eine verstärkte Kooperation Russlands mit dem mächtigen China kann einige Defizite ausgleichen, doch wird Russland sich hier in einer schwachen Verhandlungsposition befinden.
Für China wiederum besteht die Möglichkeit, an zusätzliche Energiemengen und Rohstoffe aus Russland zu kommen, und durch den Ost-West-Konflikt dabei günstige Preise zu erzielen. China wird seinen Einfluss auf Russland steigern können und die Bedeutung des Yuan als Reservewährung erhöhen können. Es zählt zu den Gewinnern dieser Krise.
Was die Krise für die westliche Welt bedeutet
Für die westliche Welt bedeutet die Krise einen Anstieg der Inflation und größere Risiken für die konjunkturelle Entwicklung. Vor allem für viele europäische Länder, die in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängig sind, werden negative Auswirkungen zu befürchten sein. Für Nettoexporteure von Energie, wie etwa die Vereinigten Staaten von Amerika, hat der Anstieg der Energiepreise dagegen keine negative Wirkung, solange die allgemeine Inflation unter Kontrolle bleibt.
Als Exportmarkt für den Westen hat Russland in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren. Russland hat sich einseitig auf Öl und Gas ausgerichtet und eine Modernisierung der Wirtschaft vernachlässigt, die vielfältige Kooperationsmöglichkeiten mit westlichen Ländern eröffnet hätte. Angesichts des bereits niedrigen Niveaus an Güterexporten dürften weitere Rückschläge im Zuge der Ukraine Krise verkraftbar sein. Es ist damit zu rechnen, dass Russland seinen Handels- und Kapitalverkehr mit China intensiviert.
Kurzfristige Auswirkungen wird die Ukraine-Krise auch auf die Geldpolitik der westlichen Zentralbanken haben. Die erhöhten Konjunkturrisiken werden Sie veranlassen, beim Ausstieg aus der expansiven Politik behutsam vorzugehen und den geplanten Zinsanstieg eher zu verzögern. Sie werden auf die energiepreisbedingten Inflationsimpulse nicht in gleicher Weise reagieren, wie auf eine nachfrageinduzierte Inflation. Denn drastische Energiepreissteigerungen sind stets ein besonderes Risiko für die Konjunktur und haben in der Vergangenheit häufig Rezessionen nach sich gezogen. Diesem Risiko werden die Zentralbanken Rechnung tragen.
Fazit: Vier Trends sind absehbar
Auch wenn es zurzeit noch schwierig ist, den Ausgang der Kampfhandlungen und eventueller politischer Verhandlungen in der Ukraine abzusehen, sind zumindest vier Trends doch absehbar.
- Erstens werden sich die westlichen Länder langfristig vom Energieimport aus Russland unabhängiger machen, Russland wird sich neue Märkte etwa in Asien suchen müssen.
- Zweitens wird Präsident Putin in der westlichen Welt für geraume Zeit keinerlei Vertrauen genießen und kein Entgegenkommen erwarten dürfen.
- Drittens werden angesichts der militärischen, sogar atomaren Bedrohungen westliche Länder wieder stärker in militärische Verteidigungskapazitäten investieren. Die Friedensdividende ist endgültig Geschichte.
- Viertens werden höhere Rüstungsinvestitionen des Westens auch Russland fordern, weiterhin einen sehr großen Anteil des Volkseinkommens in militärische Verwendungen und nicht in die Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft zu investieren. Dies ist eine zutiefst bedauerliche Perspektive.
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