Nachdem die Immobilienpreise lange nur eine Richtung kannten, befinden sich Hauskäufer und Investoren nun in einem Umfeld hoher Inflation, steigender Zinsen und wachsender Baukosten. Verschärft wird die Situation durch die Folgen des Ukrainekriegs. Kristina Chorna und Christian Langosch, Co-Leiter Immobilien bei HQ Trust, bewerten die kurz- und langfristigen Auswirkungen.
Frau Chorna, welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Immobilienmärkte?
Chorna: Die Ukraine-Krise hat aktuell nur indirekten Einfluss auf die europäischen Immobilienmärkte: Die durch den Krieg gestiegenen Energiekosten treiben die Inflation weiter an, der hohe Energiebedarf bei der Herstellung von Beton und Zement führt auch hier zu gestiegenen Preisen. Zudem sind Russland und die Ukraine wichtige Lieferanten für Baustahl und Rohölprodukte wie Bitumen, so dass Lieferengpässe zu höheren Beschaffungspreisen führen.
Schon vor der Ukraine-Krise gab es ein überdurchschnittlich inflationäres Umfeld, seit Februar kam einen extremer Anstieg hinzu
Wie sieht es mittelfristig aus, Herr Langosch?
Langosch: Die mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Folgen, also die Möglichkeit einer Rezession, lassen sich aktuell nur schwer abschätzen. Klar ist: Gebremstes Wirtschaftswachstum oder eine Rezession würden die Nachfrage nach Gewerbeflächen reduzieren oder sogar einbrechen lassen.
Chorna: Dafür ist die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum weiterhin ungebrochen und könnte durch Zuwanderung aus Krisengebieten weiter steigen.
Langosch: Das ist richtig. In Summe halten wir die Auswirkungen der Ukrainekrise auf Immobilien daher auch für neutral.
Welche Auswirkung hat die hohe Inflation auf Immobilien?
Langosch: Hier muss man zwischen Gewerbe- und Wohnimmobilien differenzieren. Im Gewerbereich werden in der Regel Mietverträgen mit sogenannten Indexklauseln vereinbart, bei denen die Miete an den Verbraucherpreisindex gekoppelt und in bestimmten Intervallen angepasst wird.
Das kann für den Mieter aber ganz schön teuer werden …
Chorna: Nicht unbedingt. Oft gibt es eine Höchstgrenze, sodass nicht die komplette Erhöhung an den Mieter weitergegeben wird. Eine andere Variante richtet sich nach den Inflationsannahmen im Businessplan für die Immobilie und wird automatisch in gewissen Intervallen umgesetzt. Das schützt Mieter vor rasanten Anstiegen.
Langosch: Zudem gibt es hier große regionale Unterschiede bei Wohnimmobilien. In den USA etwa werden Mietverträge meist nur für ein Jahr abgeschlossen. So kann nach einem Jahr der Mietzins an die marktüblichen Mieten angepasst werden. In Deutschland sind automatische Erhöhungen, die sich nach dem Verbrauchpreisindex richten, unüblich.
Was ist in denn Deutschland üblich?
Chorna: Staffelmietverträge sind weit verbreitet, allerdings ist die Höhe der möglichen Mieterhöhung gesetzlich beschränkt. Eine zu 100 % an die Inflation angepasste Mieterhöhung ist damit praktisch unmöglich. Lediglich nach Auszug eines Mieters kann der Wohnraum wieder zu marktüblichen Konditionen vermietet werden.
HQ Trust rechnet damit, dass die Inflation nicht auf dem aktuellen Niveau bleibt, sondern sich ab dem Jahr 2023 auf einem niedrigeren Stand einpendelt, allerdings über den Werten aus der Vor-Corona-Zeit. Welche Folgen hätte das?
Langosch: Durch die Möglichkeit, die Mieten, wenn auch nur eingeschränkt, an steigende Preise anzupassen, bieten Immobilien einen teilweisen Schutz vor der Geldentwertung durch Inflation. Durch Erhöhung der Miete steigt das Immobilieneinkommen, dadurch sollte der Wert einer Immobilie ebenfalls ansteigen, da Kosten proportional nicht im gleichen Maß ansteigen. Die Auswirkungen sind also bedingt positiv.
Nächster Bereich: Welche Auswirkung hat ein höheres Zinsumfeld auf Immobilien?
Chorna: Seit Anfang des Jahres sind die Darlehenszinsen wieder stärker angestiegen. Das aktuell hohe Preisniveau auf den Immobilienmärkten und die steigenden Kreditzinsen führen dazu, dass die Immobilienrenditen weiter sinken könnten.
Das Zinsumfeld hat sich in den letzten Monaten drastisch geändert, nachdem über mehrere Jahre zu extrem günstigen Konditionen finanziert werden konnte
Langosch: Die meisten Manager rechnen in Ihren Business-Plänen mit gewissen Puffern bei den Finanzierungskosten, damit sollte ein Teil des aktuellen Zinsumfelds bereits in den Plänen abgebildet sein. Sollten die Sätze aber stetig steigen, ist die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen auf die Immobilienpreise groß. Um die notwendigen Zielrenditen mit höheren Kapitalkosten zu erreichen, sind die Käufer auf niedrigere Kaufpreise angewiesen.
Chorna: Anleger sollten aber nicht vergessen: Auch wenn der aktuelle Immobilienzyklus ungewöhnlich lange anhält und das niedrige Zinsumfeld zu überproportional gestiegenen Immobilienpreisen geführt hat, handelt es sich um Effekte, die in der Vergangenheit bereits beobachtet wurden.
Was kann man Investoren raten?
Langosch: Sie sollten noch selektiver nach Nutzungsarten und Regionen investieren. Nutzungsarten, in denen Kostensteigerungen durch die Vermietung zur Marktmiete oder durch indexierte Mietverträge von den Eigentümern weitergegeben werden können, sind zu bevorzugen. Wichtig ist es hierbei, kontinuierlich und gleichmäßig zu investieren.
Letzter Bereich: Welche Auswirkungen haben die gestiegenen Baukosten auf Immobilien?
Chorna: Der Bauboom ist während der Corona-Pandemie immerhin nicht eingebrochen. Die anhaltend hohe Nachfrage nach Baustoffen und gestörte Lieferketten haben aber dazu geführt, dass Materialpreise gestiegen sind. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Ukrainekrise. Darüber hinaus hat der Mangel an Fachkräften zu steigenden Löhnen geführt.
Die Baukosten explodieren seit 2021 auf dem europäischen Markt und führen zur Neukalkulation von Projekten und teilweise steigenden Kaufpreisen
Langosch: Das alles führt dazu, dass aktuelle Projektentwicklungen neu kalkuliert werden müssen. Projektentwickler werden versuchen, die gestiegenen Kosten über die Verkaufspreise an die Käufer weiterzugeben. Dies führt kurzfristig zu sinkenden Renditen durch höhere Kosten …
Chorna: … mittel- bis langfristig wird es dazu führen, dass weniger neue Objekte in den Bereichen Wohnen und Gewerbe fertiggestellt werden und somit das Angebot abnimmt. Bei anhaltender stabiler Nachfrage nach Wohnraum und modernen Büroflächen sorgt die Angebotsknappheit für weiter steigenden Mieten. Die Folge sind höhere Bewertungen der Immobilien, was dazu führen kann, dass die Immobilienrenditen wieder sinken.
Welches Fazit ziehen Sie angesichts der aktuellen Situation und der Auswirkungen auf den Immobilienmarkt?
Langosch: Kurz- bis mittelfristig sehen wir in Summe neutrale bis leicht negative Auswirkungen: aufgrund der steigenden Baukosten und der veränderten Zinslandschaft. Auf der Positivseite stehen steigende Mieten in den Bereichen Logistik und Wohnen aufgrund des beschränkten Angebots an Flächen. Indexierte Mietverträge im gewerblichen Bereich führen ebenfalls zu steigenden Mieteinahmen und sorgen für einen anteiligen Inflationsausgleich. Positive und negative Effekte auf die Immobilienwerte sollten sich also in etwa ausgleichen.
Chorna: Auf Nachfrage- und Angebotsseite erwarten wir, dass durch die weiter steigenden Bau- und Finanzierungskosten weniger Projektentwicklungen begonnen werden und dadurch das Angebot an neuen Immobilien und Flächen zurückgehen wird. In einigen Bereichen wird die Flächennachfrage das Angebot übersteigen, sodass auch weiterhin ein positiver Nachfrageüberhang nach modernen Gewerbeflächen und Wohnraum bestehen wird, wenn auch nicht mehr so groß wie in der nahen Vergangenheit.
Langosch: Langfristig sollten die aktuellen Entwicklungen keine nachhaltigen negativen Auswirkungen auf die Immobilienmärkte haben und sich innerhalb eines Immobilienzyklus neutralisieren.
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