Bleiben die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Silicon Valley Bank temporär und regional begrenzt – oder spitzt sich die Lage zu und wird zur systemischen Krise? Dr. Michael Heise über die Fakten, die Besonderheiten von Bankenkrisen und welche Lehren Anleger aus der Krise ziehen sollten.
Auch einige Tage nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) besteht keine Einigkeit unter Finanzmarktexperten, ob diese Krise nun regional begrenzt und temporär bleibt – gewissermaßen einer der Rückschläge, die angesichts der kräftigen Zinssteigerungen der letzten Quartale zu erwarten waren – oder ob sie sich zu einer systemischen Krise auswachsen könnte.
Typischerweise wird bei Bankenkrisen zunächst auf die Fakten geschaut, die für eine begrenzte Problematik sprechen könnten. Die SVB war im Verhältnis zu den amerikanischen Großbanken relativ klein, sie wurde daher keiner besonders strengen Überwachung unterzogen, wie das bei größeren systemischen Banken der Fall ist, und sie hatte eine spezielle Kundschaft mit zahlreichen Firmen aus der Start-Up-Szene, die ihre Einlagen in der letzten für Start-Ups schwierigen Zeit recht deutlich reduzieren mussten. Aus diesem Blickwinkel könnte man die Entwicklung als einen begrenzten Kollateralschaden der kräftigen Zinserhöhungen und der inversen Zinsstruktur der vergangenen Monate ansehen. Die Hoffnung wäre, dass nun, da die amerikanische Notenbank neue Kreditlinien geschaffen hat und die Einlagensicherung für die Einlagen geradesteht, weitere Ansteckungseffekte ausbleiben.
Bei Bankenkrisen spielen Psychologie und Vertrauen eine große Rolle
Das Problem bei der Vorhersage von Bankenkrisen ist allerdings, dass Psychologie und Vertrauen neben allen komplexen Wirkungszusammenhängen eine sehr große Rolle spielen und schwer zu prognostizieren sind. Private Haushalte und Unternehmen, die größere unbesicherte Anlagen bei Banken halten, werden sich natürlich fragen, wie sicher diese Einlagen sind. Bestehen daran Zweifel, werden Einlagen verlagert, etwa von kleineren Regionalbanken zu größeren Häusern, die nicht nur intensiver überwacht werden, sondern aufgrund ihrer Größe unter einem vermuteten staatlichen Schutzschirm stehen (too big to fail), oder sie werden in kurzlaufende Wertpapiere oder Bargeld verlagert.
Ob solche Prozesse stattfinden, die das gesamte Bankensystem in Schwierigkeiten bringen könnten, hängt wiederum an der Glaubwürdigkeit der Zusagen von Notenbanken und Einlagensicherungsfonds, eine Ausweitung der Bankenkrise zu verhindern. Bei der SVB konnte diese Zusicherung gemacht werden, aber wenn immer mehr Banken von einem Einlagenabzug betroffen wären, würden die Einlagensicherungsfonds, die von den Banken selbst finanziert werden, nicht mehr ausreichen, um eine vollständige Absicherung zu gewährleisten. Am Ende ist es dann nur die Zusage der Regierungen, also der Steuerzahler, die eine negative Spirale von Einlagenabzug und Liquiditätsengpässen im Bankensystem verhindern kann. Die in der Finanzkrise im Jahr 2008 gegebene Zusage der früheren Bundeskanzlerin Merkel und des damaligen Finanzministers Steinbrück, dass alle Einlagen sicher sind, ist das prominenteste Beispiel für eine solche staatliche Rettungszusage.
Einige Argumente sprechen gegen eine Ausweitung der Krise
Muss es auch diesmal so weit kommen? Einige Argumente sprechen dagegen. Erstens gibt es ein Marktkorrektiv in Form sinkender Zinsen und Zinserwartungen. So war in den Tagen nach dem SVB Kollaps zu beobachten, dass die Renditen für Staatsanleihen zurückgehen, also die Bewertungen dieser Wertpapiere steigen. Dies reduziert die Verluste, wenn Banken Staatsanleihen verkaufen, um zusätzliche Liquidität zu schaffen. Zusammen mit der Zusage der amerikanischen Notenbank, Staatsanleihen zum Nennwert als Besicherung für Kreditlinien zu akzeptieren, sollte dies beruhigend wirken.
In Bezug auf die Zinspolitik befinden sich die Zentralbanken allerdings in einem Dilemma. Denn angesichts der hartnäckig hohen Inflation müssten sie die Zinsen weiter anheben, was auch die Kapitalmarktrenditen tendenziell erhöht und Bewertungsverluste nach sich zieht. Verzichten Sie auf weitere Zinserhöhungen, um einer Bankenkrise vorzubeugen, wird das die Inflationserwartungen eher steigern und längerfristige Probleme erzeugen. Aufgrund dieser schwierigen Situation ist in den nächsten Wochen mit erhöhter Volatilität zu rechnen.
Für europäische Banken könnten die negativen Marktentwicklungen weniger stark bleiben. Dies liegt daran, dass europäische Banken über sehr große Bestände an Zentralbankliquidität verfügen und somit keine Wertpapierverkäufe tätigen müssen, um einen etwaigen Einlagenabzug zu finanzieren. Etwa 4 Billionen Zentralbankreserven sollten einer negativen Angstpsychologie eigentlich die Grundlage entziehen. Die Reserven von US- amerikanischen Banken sind im Zuge der Rückführung der Notenbankbilanz (Quantitative Tightening) deutlich gesunken, jedoch wäre bei entsprechendem Liquiditätsbedarf davon auszugehen, dass die Notenbank Fed und das Finanzministerium das neu geschaffene Kreditprogramm für Banken, das durch 25 Milliarden Dollar aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds hinterlegt ist, erheblich ausweiten würden.
Welche Lehren sollten Anleger aus der Krise ziehen?
Zunächst zeigt sich wieder einmal, dass Bankenrisiken schwer vorhersehbar sind und man sich auch auf gute Bewertungen von Ratingagenturen keineswegs verlassen kann, wie sie ja im Falle von SVB gegeben waren. Die kräftigen Leitzinserhöhungen der Notenbanken, die den Aktienkursen vieler Banken zunächst Rückenwind gegeben hatten, brachten für diese Bank ein massives Problem mit sich, weil langfristige, niedrig verzinsliche Staatsanleihen mit Verlusten verkauft werden mussten und eine Inversion der Zinskurve gegeben war, die kurzfristige Einlagen in Relationen zu den langfristigen Renditen sicherer Wertpapiere teurer gemacht hatte.
Dass auch andere Banken von diesen Entwicklungen negativ betroffen sein könnten, ist keineswegs auszuschließen. Denn es ist ein Kerngeschäft der Banken, kurze Einlagen langfristig anzulegen. Diese sogenannte Fristentransformation, die volkswirtschaftlich durchaus erwünscht ist, bietet aber bei inversen Zinsstrukturen und plötzlichem Einlagenabzug auch erhebliche Risiken, wie sich in früheren Finanzmarktkrisen immer wieder gezeigt hat: Es kommt auf ein gutes Management der klassischen Zinsrisiken an.
Die Phase der Volatilität dürfte noch anhalten.
Aus alledem lässt sich wohl ableiten, dass Anleger eine sehr vorsichtige Positionierung im Finanzsektor bevorzugen sollten. Die Margen der Banken dürfte durch die jüngsten Ereignisse unter Druck stehen, denn zum einen ist der Wettbewerb um Einlagen schärfer geworden, zum anderen werden die Anleihegläubiger und die Aktionäre in Schieflage geratenen Banken eben nicht durch die bisherigen Maßnahmen der Einlagensicherung oder der Notenbank geschützt. Insoweit ist die Zeit für einen Kauf von Banktiteln trotz der erheblichen Rückschläge sicher noch nicht gekommen.
Auch am Aktienmarkt insgesamt dürfte die Phase der Volatilität noch anhalten. Eine Aufwärtsbewegung am Markt könnten allenfalls die Zentralbanken auslösen, indem sie ihre restriktive Anti-Inflationspolitik grundsätzlich korrigieren und etwa auf Zinssenkungen hinweisen. Diese Wette ist jedoch nicht zu empfehlen, denn die Zentralbanken werden die Glaubwürdigkeit ihres Stabilitätsversprechens nicht in Frage stellen. Würde auch daran gezweifelt, wären die nächsten Krisen programmiert.
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