Der Zinsanstieg der vergangenen Quartale und die zunehmende Unsicherheit rund um die Situation im Nahen Osten haben an den Kapitalmärkten zuletzt tiefe Spuren hinterlassen. Wie geht es weiter? Klar ist: Neben der Geopolitik werden die Entwicklung von Notenbankzinsen und Kapitalmarktrenditen auch 2024 eine entscheidende Rolle spielen.
Neben der angespannten geopolitischen Lage hat der heftige Zinsanstieg der vergangenen Quartale tiefe Spuren in der Gesamtwirtschaft und an den Finanzmärkten hinterlassen – und auch hier sind die Auswirkungen sind noch lange nicht zu Ende. Während sich die Sparer auf der einen Seite über höhere Sparzinsen und Anleiherenditen bei Neuanlagen freuen können, haben die Vermögensbestände in der Breite an Wert eingebüßt. Besonders deutlich wird dies bei den Staatsanleihen, Unternehmensanleihen – und bei Immobilien. Die Weltaktienmärkte liegen etwas unter den Hochs von Ende 2021, in Relation zu steigenden Unternehmensgewinnen haben sie sich aber deutlich verbilligt.
Noch gravierender ist, dass sich die Finanzierungskosten für Darlehensnehmer im Haushalts- und Unternehmenssektor wie auch für den Staat massiv erhöht haben. Gerade im Immobilienbereich werden Projekte storniert und generell wird die Konsum- und Investitionsnachfrage durch den Zinsanstieg gebremst. Für hochverschuldete Unternehmen, die kurzfristig einen hohen Refinanzierungsbedarf haben, weil Kredite oder Anleihen fällig werden, kann der Zinsanstieg eine existenzielle Bedrohung sein.
Bereits in den vergangenen Monaten sind die Firmeninsolvenzen in Deutschland und der EWU von einem niedrigen Niveau aus deutlich angestiegen. Die Anzahl der sogenannten Zombieunternehmen, deren Erträge geringer sind als der Schuldendienst, wird deutlich zunehmen. Diese Entwicklungen werden im Jahr 2024 weiterhin sehr sichtbar sein.
Vorerst sind keine weiteren Leitzinserhöhungen zu erwarten
Nicht zuletzt aufgrund einer voraussichtlich schwachen Konjunkturentwicklung erwarten die Finanzmärkte in 2024 keine weiteren Zinserhöhungen, sondern im zweiten Halbjahr eher leichte Senkungen seitens US-Notenbank und EZB. Der Höhepunkt der Leitzinsen im aktuellen Zyklus sollte demnach erreicht sein.
Plausible Gründe gibt es dafür durchaus: Erstens werden die Inflationsraten zwar langsam, aber doch beständig zurückgehen, soweit keine neuen Ölpreisschocks kommen. Zweitens wird die Konjunktur allein durch den bereits eingetretenen Anstieg der Kapitalmarktrenditen auch im kommenden Jahr einigen Gegenwind verspüren. Nach gängigen Prognosen dürften die USA und der Euroraum nur etwas mehr als ein Prozent Wachstum erreichen, was aber immer noch einer sanften Landung entspräche. Kombiniert mit rückläufigen Inflationsraten wird dies die Zentralbanken von einer weiteren Straffung ihrer Politik abhalten und möglicherweise Zinssenkungen erlauben.
Die Zentralbanken haben allerdings deutlich gemacht, dass sie einen nachhaltigen Rückgang der Inflationsraten als Voraussetzung für eventuelle Zinssenkungen ansehen und damit angedeutet, dass die Zinsen vorerst auf dem aktuellen Niveau bleiben werden („höher für länger“). Ihre Bereitschaft, die Zinsschraube wieder zu lockern, wird eben auch davon abhängen, dass sich auch für 2025 und 2026 wieder eine zielkonforme Inflation abzeichnet. Zinssenkungen dürften daher noch eine Weile auf sich warten lassen, möglicherweise bis ins zweite Halbjahr des kommenden Jahres.
Rasche Zinssenkungen wohl nur im Falle einer starken Rezession
Es gibt wie immer bei der Kapitalmarktanalyse aber auch Alternativszenarien. So wären rasche und deutliche Zinssenkungen der Zentralbanken zu erwarten, wenn die USA und der Euroraum in eine deutliche Rezession mit erheblichen Produktions- und Einkommensverlusten abrutschen sollten. Allein die bisherigen Zinssteigerungen der Zentralbanken dürften wohl nicht ausreichen, um ein solches Szenario herbeizuführen, denn trotz der Serie an Zinserhöhungen liegt das Niveau der Zinsen im Euroraum gerade mal auf dem Niveau der Inflation und in den USA nicht sehr weit darüber. Eine stark restriktive Linie der Zentralbanken sähe anders aus.
Damit ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession stark von exogenen Entwicklungen abhängig, etwa einem kräftigen Schub bei den Öl- und Gaspreisen, etwa aufgrund der politischen Konflikte rund um Israel oder neuer Handelskriege zwischen Ost und West. Deren Wahrscheinlichkeit ist sehr schwer einzuschätzen und sollte von Anlegern nicht zur Grundlage der Entscheidungen gemacht.
Höhenflug der Kapitalmarktrenditen sollte auslaufen
Der jüngste Anstieg der Renditen für langfristige Staatsanleihen in den USA, der einer Serie von guten Konjunkturdaten und eher durchwachsenen Inflationsdaten folgte, hat das weltweite Zinsniveau ansteigen lassen. Da mit Blick auf die kommenden Quartale eine deutliche Abschwächung der Konjunktur in den USA zu erwarten ist, dürfte sich der Ausverkauf an den Anleihemärkten kaum fortsetzen, insbesondere, da die Inflationsraten tendenziell zurückgehen dürften.
Dass es zu einem deutlichen Rückgang der Renditen kommt, ist damit allerdings nicht gesagt. Zwar könnten die Notenbanken in den kommenden Monaten die erwarteten Signale geben, dass die Leitzinsen perspektivisch wieder sinken könnten. Neben den Zinserwartungen spielen jedoch auch die Risiken für die Anleger eine Rolle. Risiken entstehen zum einen dadurch, dass die Notenbanken darangehen werden, die aufgeblähten Bilanzen wieder zu reduzieren und die Preisbildung für Anleihen wieder stärker dem Markt und nicht großdimensionierten Notenbankkäufen wie in den vergangenen Jahren der unkonventionellen Geldpolitik zu überlassen. Wenn ein großer und völlig preisunabhängiger Nachfrager wegfällt, müssen die Risiken wieder stärker von den Anlegern im Markt getragen werden. Das wirkt zinserhöhend, wie es schon bei der teilweisen Beendigung der Nettoanleihekäufe beobachtbar war.
Zum anderen wirkt sich aber auch die erhöhte Unsicherheit über zukünftige Inflationsentwicklungen und die Staatsverschuldung steigernd auf die Langfristrenditen aus. Wenn man nicht sicher sein kann, dass die Inflation in absehbarer Zeit und nachhaltig auf das Zielniveau zurückgeführt werden wird und die Staatschulden allein aufgrund der zunehmenden Zinslasten weiter steigen, werden Anleger eine höhere Risikoprämie fordern, um mögliche Verluste bei der längerfristigen Kapitalbindung zu kompensieren.
Zinsanstieg hat Bewertungen an Aktienmärkten reduziert
Die Bewertungen an den globalen Aktienmärkten sind maßgeblich von der Entwicklung der Kapitalmarktrenditen abhängig. Mit dem beschleunigten Zinsanstieg der vergangenen Monate haben die Aktienbewertungen deutlich nachgegeben, zuletzt verstärkt durch die Vorgänge in Israel und Palästina. So liegen die Börsenkurse der deutschen DAX-Unternehmen derzeit nur um gut das Zehnfache höher als die Gewinne der letzten 12 Monate.
Auch bei europäischen Aktienindizes sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse mit dem Zinsanstieg zurückgegangen. Nur die US-Aktien aus dem S&P 500 notieren noch bei durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnissen von über 20 %, was an dem scheinbar unverwüstlichen Vertrauen in weiterhin sehr starke Gewinnpotentiale der Tech-Unternehmen liegt. Tatsächlich liegen Gewinnrenditen der US-Aktien (Gewinne/Aktienkursen) inzwischen nicht mehr höher als die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen in den USA.
Kurzfristig moderate Kurspotentiale bei Aktien
Wenn die Hoffnung auf deutliche Zinssenkungen und Renditerückgänge im Jahr 2024 unerfüllt bleibt, was zu erwarten ist, werden positive Kursentwicklungen nur durch steigende Unternehmensgewinne und zunehmende Gewinnerwartungen für die nächsten Jahre ausgelöst werden können.
Für das Jahr 2023 erwarten die Finanzmarktanalysten weitgehend unveränderte operative Gewinne in den USA und für 2024 rechnen sie mit einem Gewinnanstieg von 11,6 %. In der EWU werden für 2023 ebenfalls geringfügig positive Gewinnzuwächse gegenüber dem Vorjahr erwartet und für 2024 wird ein Gewinnplus von 6,6 % vorhergesehen.
Im Verlaufe der letzten Monate haben sich die Gewinnschätzungen für 2023 aufgrund positiver Unternehmensberichte etwas gebessert. Die Annahmen für 2024 sind weitgehend stabil geblieben und sehen angesichts schwacher Konjunktur und hohen Zinsen nur moderate Steigerungen kommen. Das erscheint aus heutiger Sicht plausibel und deutlich stärkere Steigerungen sind eher unwahrscheinlich. Infolgedessen ist auch nicht mit starken Kurssteigerungen an den Börsen zu rechnen, selbst wenn sich Aktien seit August verbilligt haben. Steigerungen in der Größenordnung von 10 % bis zum Jahresende 2024 wären für die Weltindizes aus heutiger Sicht aber durchaus drin.
Fazit
Auch wenn die kurzfristigen Gewinnperspektiven an den Kapitalmärkten derzeit eher begrenzt erscheinen, sieht die Situation für Langfristanleger positiv aus. An den Anleihemärkten haben sich die Bedingungen für einen Einstieg deutlich verbessert und es ist bei rückläufiger Inflation wieder eine positive Realverzinsung zu erzielen. An den Aktienmärkten und anderen Beteiligungsmärkten sind durch den Bewertungsrückgang der letzten Monate wieder deutlich günstigere Einstiegsbedingungen entstanden.
Über die zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen besteht natürlich immer Unsicherheit und zurzeit ist sie angesichts der geopolitischen und kriegerischen Konflikte besonders hoch. Plausibel erscheint ein Szenario mit schwachem weltwirtschaftlichem Wachstum, langsam rückläufiger Inflation und einer zunächst weiter straffen, erst im weiteren Jahresverlauf wieder etwas lockerer Geldpolitik. Das ist für Aktien- und Anleiheanleger aber im Ganzen kein schlechtes Szenario.
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