Das Ergebnis des EU-Gipfels ist als Zeichen der Handlungsfähigkeit Europas und der Solidarität der Mitgliedsstaaten grundsätzlich zu begrüßen. Ob dadurch eine neue Ära der Zusammenarbeit in der EU beginnt, ist indessen fraglich.
Historische Gipfel hat es in der EU schon einige gegeben; das Historische an diesem Gipfel ist wohl, dass trotz tiefgreifender Interessengegensätze der Länder überhaupt ein Kompromiss gefunden wurde. Für die Wahrnehmung der EU an den globalen Kapitalmärkten und die deutsche Ratspräsidentschaft ist das positiv. Ob das Billionenpaket die wirtschaftliche Entwicklung merklich fördern wird, hängt sehr stark von der Verwendung der Mittel und der Reformbereitschaft der Länder ab. Allein durch mehr Geld werden die strukturellen Probleme insbesondere der hochverschuldeten EU-Länder nicht gelöst werden. Im Einzelnen sind folgende Punkte zu beachten:
- Als Instrument der Konjunkturpolitik, das die Erholung der Wirtschaft nach der Coronakrise beschleunigen soll, wird der Aufbaufonds kaum wirksam sein. Da er noch vom EU-Parlament und den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss und dann nationale Reformpläne vorzulegen sind, die die Mittelverwendung darlegen sollen, kommt das Paket zur Ankurbelung der Konjunktur zu spät. Soweit Investitionen damit finanziert werden sollen, ist ohnehin eine sehr lange Vorlaufzeit notwendig.
- Die Verwendung der Mittel und die Kopplung an nationale Reformen ist weitaus wichtiger für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg als die Frage, ob Zuschüsse oder Kredite vergeben werden. Die vereinbarte Aufteilung (390 Mrd. Zuschüsse, 360 Mrd. Kredite), über die so vehement gestritten wurde, ist vertretbar. Für die hoch verschuldeten Länder sind vor allem die Zuschüsse ein klares Zeichen der Solidarität, das zu wirtschaftspolitischen Reformen veranlassen soll. Inwieweit dieser Effekt eintritt, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Man kann es wohl als einen Versuch werten, über einen Vertrauensvorschuss notwendige Reformen in Gang zu setzen. Time will tell. Ich bleibe etwas skeptisch.
- Die Kritik, dass wir Eurobonds durch die Hintertür einführen, teile ich nicht. Die Anleihen der EU-Kommission sind nicht gesamtschuldnerisch verbürgt, jedes Land haftet für seinen Anteil. Die Rückzahlung der Anleihen (bis 2058) wird wohl zu einem Großteil aus den Mitgliedsbeiträgen der Länder an die EU geleistet. Dies halte ich grundsätzlich für vernünftig; allerdings sind die notwendigen Einsparungen an anderer Stelle eher als wachstumsschädlich anzusehen. Hier fehlen der Gestaltungswille und die Kompromissfähigkeit der Länder, wenn etwa an Cybersicherheitsprojekten oder Forschung gespart wird, aber Agrarsubventionen und Strukturhilfen ungekürzt bleiben.
- Mit der Vereinbarung sind gewisse institutionelle Veränderungen verbunden (Anleiheemission und direkte Einnahmequellen der EU-Kommission). Eine grundlegende institutionelle Neuerung im Sinne von Macrons europäischem Finanzminister sehe ich allerdings nicht. Mittelzuteilung und Reformpläne der einzelnen Länder sind an die qualifizierte Mehrheit der Nationalstaaten gebunden. Wenn ein Land Bedenken hat, kann es den Europäischen Rat mit der Sache befassen. Die EU-Kommission hat also weiterhin begrenzte Kompetenzen.
Die positive Reaktion der Kapitalmärkte halte ich für gerechtfertigt. Jetzt wird sich der Blick jedoch wieder dem globalen Infektionsgeschehen und der Stärke der beginnenden Konjunkturerholung widmen. Angesichts der zahlreichen Unsicherheiten muss man zwischenzeitlich mit begrenzten Korrekturen rechnen. Über ein bis zwei Jahre (und natürlich auch längerfristig) wäre ich auch angesichts des „Gipfelerfolgs“ zuversichtlich für die Börsen.
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