Hohe Unternehmensgewinne werden in Deutschland genauso kritisch beäugt wie marktwirtschaftliche Reformen. Dr. Michael Heise erklärt, warum eine Teilhabe am Kapitalmarkt von gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Bedeutung ist – und bewertet aktuelle Vorschläge wie die Altersvorsorgedepots und das Generationenkapital.

Es gibt Begriffe, bei denen sich ein Teilnehmer einer Diskussionsrunde sicher sein kann, auf heftigen Gegenwind zu stoßen, wenn er sie in positivem Zusammenhang ausspricht. Unternehmensgewinne gehören dazu. Oder Marktwirtschaft – am besten noch in Verbindung mit der Forderung nach Reformen.

Es sind aber nicht nur die Talkshows: Marktwirtschaftliche Reformen werden in der deutschen Bevölkerung häufig kritisch gesehen. Schnell ist der Vorwurf des Neoliberalismus oder des Lobbyismus erhoben. Und hohe Gewinne werden in der Regel nicht als Ausdruck einer guten Konkurrenz- und Leistungsfähigkeit gesehen, sondern eher als ein Symptom übertriebener Preisforderungen oder arbeitsplatzgefährdender Rationalisierung.

Dass der Erfolg einer Marktwirtschaft und der Wohlstand der Gesellschaft ganz wesentlich davon abhängen, dass das Kapital in besonders rentable Verwendungen fließt, wird bei den Kapitalismuskritikern dann allerdings geflissentlich übersehen. Denn aus der Perspektive eines Aktionärs oder Kapitalgebers, der direkt an den Unternehmenserträgen beteiligt ist, ist die Sichtweise eine ganz andere: In dieser Rolle ist man oder frau sehr an der Wettbewerbsfähigkeit, der Kosteneffizienz und einer vernünftigen Strategie der eigenen Beteiligung interessiert.

Die Beteiligung der Anleger am Kapitalmarkt hat volkswirtschaftliche Vorteile

Eine stärkere Teilhabe an den Erträgen des unternehmerischen Erfolgs ist daher sicher auch ein Weg, um die die Akzeptanz der Marktwirtschaft zu verbessern. Die Beteiligung der Anleger am Kapitalmarkt ist aber nicht allein aus dem Aspekt der Vertrauensbildung zu befürworten, sondern sie hat auch handfeste volkswirtschaftliche Vorteile.

So verbessert eine höhere Kapitalbeteiligung der Anleger die Finanzierungssituation der Unternehmen. Gäbe es in Deutschland mehr als die geschätzten 10 Millionen Aktionäre, würden die Unternehmen über ein weitaus größeres Angebot an Risikokapital für die Wachstumsfinanzierung verfügen können. Hinzu kommt der Vermögensaspekt für die Sparer: Die privaten Haushalte würden eine weitaus höhere Vermögensrendite erzielen, welche die Vermögen schneller wachsen ließe und die Lücken in der Altersvorsorge mindern würde.

In Deutschland ist die Wertpapierquote vergleichsweise niedrig

Die Teilhabe am Kapitalmarkt ist daher zweifellos von gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Bedeutung. In Deutschland ist sie trotzdem vergleichsweise schwach ausgeprägt: Von den Finanzvermögen der privaten Haushalte sind rund 42 % in Bankeinlagen angelegt, 27 % des Bruttogeldvermögens sind in Aktien und Investmentfonds sowie Schuldverschreibungen investiert, die restlichen rund 31 % entfallen auf Ansprüche an Versicherungen und Pensionseinrichtungen.

Deutschland liegt bei der Einlagenquote weitaus höher und bei der Wertpapieranlage am Kapitalmarkt weitaus niedriger als der Durchschnitt Westeuropas. In den USA werden gerade einmal 13 % der Finanzvermögen auf Bankkonten gehalten, während die Wertpapieranlage rund 55 % ausmacht. Es nimmt daher kein Wunder, dass die Rendite der Finanzvermögen in Deutschland sehr gering ist.

Die höheren Zinsen ändern die Schieflage in der Vermögensentwicklung nicht

Die Vermögensstruktur in Deutschland trägt auch dazu bei, dass die Ungleichheit in der Vermögensentwicklung trotz aller staatlichen Fördermaßnahmen für Kleinsparer – etwa über Sparerfreibeträge oder die Riester-Förderung – verhältnismäßig hoch bleibt. Die unteren Einkommensschichten sparen, soweit das überhaupt möglich ist, vorwiegend in Bankeinlagen an. Wohlhabendere Schichten haben dagegen weitaus höhere Aktien- und Beteiligungsquoten und profitieren von den höheren Renditen – oder man kann sagen den Risikoprämien – des Kapitalmarktes.

Inzwischen sind die Zinsen zwar auch auf Bankeinlagen deutlich angestiegen, aber die aktuelle Gewinnrendite von Aktien liegt immer noch bei etwa 7 % und damit deutlich über den Einlagenzinsen, die niedriger sind als die aktuelle Inflation. Der Aktieninvestor wird also mit einer Risikoprämie für die stärkeren Schwankungen der Aktienkurse entlohnt.

Trotz hoher Sparraten kommt Deutschland beim Pro-Kopf-Vermögen nicht voran

Angesichts der verhältnismäßig geringen Teilhabe an den Kapitalmarkterträgen beruht die Vermögensbildung in Deutschland in besonders starkem Maße auf einem Konsumverzicht – nämlich einer sehr hohen jährlichen Ersparnis. Im Jahr 2022 haben die privaten Haushalte in Deutschland etwa 250 Mrd. Euro auf die hohe Kante gelegt, das ist noch etwas mehr als alle anderen 19 Euroländer zusammen. Man kann es auch plakativ so formulieren: Die Deutschen arbeiten für ihr Geld, während andere das Geld für sich arbeiten lassen.

So ist es auch nicht überraschend, dass sich Deutschland in der Weltrangliste der Pro-Kopf-Vermögen über die Zeit trotz hoher Sparanstrengungen nicht wirklich verbessert, aktuell liegt das Bruttogeldvermögen nur auf Rang 18 ausweislich des letztjährigen Allianz Global Wealth Reports. Das Pro-Kopf-Bruttofinanzvermögen (ohne Schulden) liegt bei rund 99.000 Euro, in den USA ist es dreimal, in der Schweiz dreieinhalb Mal so hoch. Aber auch im europäischen Vergleich rangieren immerhin 7 EU-Länder und das Vereinigte Königreich in dieser Betrachtung vor Deutschland. Die geringe Teilhabe an den Kapitalmärkten bedeutet im Übrigen auch, dass ein großer Teil der Dividenden und Kursgewinne deutscher DAX-Unternehmen an ausländische Investoren, Pensionsfonds, Direktinvestoren oder Fondssparer geht.

Wie die Teilhabe am Kapitalmarkt verbessert werden kann

Am Ende steht die Frage, welches denn geeignete Wege wären, um die Teilhabe der Anleger am Kapitalmarkt zu steigern und damit auch das Vertrauen in freien Wettbewerb und die Marktwirtschaft zu erhöhen? Folgende Aspekte erscheinen wichtig:

  • Durch Mitarbeiteraktien kann eine Beteiligung am Erfolg des eigenen Unternehmens gefördert werden. Es ist daher eine gute Idee der Regierung, den steuerlichen Freibetrag für solche Beteiligungen auf 5500 Euro im Zukunftssicherungsgesetz anzuheben. Das macht eine Gehaltsumwandlung deutlich attraktiver.
  • Sinnvoll wäre es auch, das Aktiensparen im Rahmen der Altersvorsorge zu erleichtern, indem ein steuerlich gefördertes Altersvorsorgedepot ermöglicht wird, bei dem in Aktien oder andere Beteiligungsformen investiert werden kann. Nach den Vorschlägen der Fokusgruppe Altersvorsorge des Finanzministeriums würde im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Lösung sinnvollerweise auf Garantien wie bei der Riester-Rendite verzichtet, da Garantien für langfristige Anlagen über einige Jahrzehnte nicht nötig sind und die Renditen für den Sparer stark einschränken.
  • Hochregulierte Anlageformen wie die Riester-Rente dürften im Hinblick auf die Akzeptanz marktwirtschaftlicher Prozesse dagegen nicht allzu viel bewirken. Viele nehmen die Riester-Rente eher zum Anlass der Kritik an privatwirtschaftlichen Lösungen, wobei verkannt wird, dass die Wahrnehmung von Chancen am Kapitalmarkt in der extremen Niedrigzinsphase, die die Zentralbanken herbeigeführt haben, bei der im Riester-System gleichzeitig geforderte Kapitalgarantie kaum möglich war.
  • Das Generationenkapital, das zur Stabilisierung der Beitragssätze im Rahmen der ersten Säule des Altersvorsorgesystems dienen soll, ist ebenfalls ein Weg, um die Renditen des Kapitalmarkts gesellschaftlich nutzbar zu machen. Da es sich hier um einen kollektiven Kapitalstock handelt, dürfte für den Einzelnen aber nicht unmittelbar der Eindruck entstehen, direkt an den Erträgen des Kapitalmarkts beteiligt zu sein. Stärker dürfte dieser Effekt sein, wenn individualisierte Kapitalkonten im Rahmen der kapitalgedeckten Altersvorsorge eingeführt würden, wie es etwa beim schwedischen Modell der Fall ist, und die Versicherten eine Wahl im Hinblick auf die Anlageform bekommen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Weiterentwicklung des Generationenkapitals in diese Richtung möglich sein wird.
  • Eine Stärkung der Aktienmarktteilhabe in breiten Bevölkerungsschichten könnte im Übrigen auch dadurch erhöht werden, dass Lebensversicherungen in stärkerem Umfang in Aktien investieren könnten als das heute der Fall ist. Hier wäre eine stärkere Beteiligung an den Erträgen des Aktienmarktes aufgrund langer Bindungsfristen möglich. Allerdings handelt es sich um internationale Regulierungen im Rahmen des Regelwerks Solvency II.

Zusammenfassung und Fazit

Eine stärkere Beteiligung der Deutschen an den Erträgen des Unternehmenserfolgs ist sicherlich auch ein Weg, die Akzeptanz der Marktwirtschaft zu verbessern. Wobei es bei der Beteiligung neuer Anlegerschichten am Kapitalmarkt nicht nur um den Aspekt der Vertrauensbildung geht, sondern auch um die handfesten volkswirtschaftlichen Vorteile.

Mit Blick darauf ist der jüngste Anstieg in der Zahl der Aktionäre erfreulich, vor allem zeigen Umfragen unter der Generation Z (18-24 Jahre) ein erhöhtes Interesse, allerdings auch bescheidene Fachkenntnisse im Hinblick auf die Aktienanlage. Der Weg zur Stärkung der Teilhabe am Kapitalmarkt ist sicher nicht einfach, aber er lohnt sich auch um das Vertrauen in die Mechanismen der Marktwirtschaft zu stärken.

Direkte Aktienanlagen, etwa im Rahmen von Mitarbeiteraktien oder Altersvorsorgedepots, dürften die Wahrnehmung für die Anleger stärken an den Erfolgen des Wirtschaftsprozesses zu partizipieren und somit zu einer kundigeren Auseinandersetzung mit der Marktwirtschaft beitragen. Baut man die verschiedenen Möglichkeiten zum Aktiensparen aus und schafft die anderen Voraussetzungen in Form von Finanzbildung und technologischer Innovationen, wird die Entwicklung in die richtige Richtung gehen, auch Deutschland könnte ein Land der Aktiensparer werden.

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Dr. Michael Heise
Chefökonom
HQ Trust
Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Michael Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.
Inhaltsverzeichnis
  1. Die Beteiligung der Anleger am Kapitalmarkt hat volkswirtschaftliche Vorteile
  2. In Deutschland ist die Wertpapierquote vergleichsweise niedrig
  3. Die höheren Zinsen ändern die Schieflage in der Vermögensentwicklung nicht
  4. Trotz hoher Sparraten kommt Deutschland beim Pro-Kopf-Vermögen nicht voran
  5. Wie die Teilhabe am Kapitalmarkt verbessert werden kann
  6. Zusammenfassung und Fazit