Natürlich gibt es auch gute Gründe dafür, dass die US-Wirtschaft nach dem drastischen Zinsanstieg in eine Rezession abrutschen könnte. Aber manche Belastungen für die Wirtschaft nehmen ab und es gibt stabilisierende Effekte. Was ist das wahrscheinlichste Szenario – und was bedeutet es für Aktien- und Anleihekäufer?
Von der US-Wirtschaft hängt wieder einmal vieles ab. Angesichts der Schwäche der europäischen Wirtschaft und einer stockenden Erholung in China wären Impulse vom amerikanischen Konsum äußerst erwünscht. Die wirtschaftliche Entwicklung in den USA wird aber auch maßgeblich dafür sein, ob die Demokraten in den USA gute Erfolgschancen für eine Wiederwahl haben und ob die Kapitalmärkte wie im ersten Halbjahr 2023 weiterhin mit Zuversicht auf die kommende Zeit blicken werden.
Gleichzeitig ist die Prognose der US-Wirtschaft so komplex wie selten. Die zahlreichen Schocks der vergangenen Jahre, beginnend mit der Pandemie, gefolgt von der Ukraine- und der Energiekrise bis hin zur unerwarteten Inflationsbeschleunigung und dem Zinsschock haben vielfältige Auswirkungen und politische Reaktionen hervorgerufen, die sich gegenseitig überlagern. Konjunkturindikatoren sind daher schwer zu interpretieren und einfache Regeln haben sich für die Prognosen als wenig zuverlässig erwiesen. So ist der vielfach prognostizierte wirtschaftliche Einbruch bislang ausgeblieben.
Viele Experten erwarten einen Einbruch der US-Wirtschaft
Die Sorge vor einer Rezession richten sich nun auf 2024. Der rasante Zinsanstieg der vergangenen Quartale werde einen starken Bremseffekt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage haben. Eine so-genannte inverse Zinsstruktur, bei der eine straffe Geldpolitik die kurzfristigen Zinsen deutlich über die langfristigen Kapitalmarktrenditen hebt, habe in der Vergangenheit fast immer eine Rezession nach sich gezogen. Basierend auf diesem empirischen Befund kalkuliert etwa die Federal Reserve Bank von New York derzeit eine Rezessionswahrscheinlichkeiten von um die 70 % in zwölf Monaten.
Richtig ist, dass der Zinsanstieg Kredite an Unternehmen und private Haushalte deutlich teurer und knapper gemacht hat. Die finanziellen Belastungen und die Risiken im Kreditgeschäft sind deutlich gestiegen. Bei bonitätsschwachen Krediten (leveraged loans) sind die Ausfallraten bereits angestiegen, wenngleich ausgehend von niedrigem Niveau. Gefährdet sind vor allem variabel verzinsliche Kredite, die für die Schuldner in kurzer Zeit sehr viel teurer geworden sind. Auch Kredite zur Finanzierung von Einzelhandels- oder Büroimmobilien, die bereits an Wert verloren haben, bringen Ausfallrisiken mit sich.
Den ökonomischen Belastungen stehen stabilisierende Effekte gegenüber
Allerdings gibt es auch stabilisierende Effekte, die die US-Wirtschaft gegenüber dem Zinsanstieg und dem Inflationsschub einigermaßen widerstandsfähig gemacht haben, und die auch in den nächsten Quartalen wirksam sein werden, wobei manche schwächer, andere auch stärker werden dürften. Da ist zunächst der starke Arbeitsmarkt, der über steigende Beschäftigung und steigende Löhne zusätzliche Einkommen erzeugt und damit den Konsum stabilisiert hat.
Wie stark sich die Arbeitsmarktdynamik aufgrund der Zinssteigerungen und der straffen Geldpolitik abschwächen dürfte, ist eine der wichtigsten und schwierigsten Fragen für die amerikanische Notenbank. Zu rechnen ist wohl damit, dass die Zahl der offenen Stellen zurückgehen wird. Sie liegt aber zurzeit noch bei knapp 10 Millionen und um den Faktor 1,6 höher als die Zahl der Arbeitssuchenden. Kleinere und mittelgroße Unternehmen werden beim Aufbau von Beschäftigung etwas zurückhaltender, aber die Zahl der Firmengründungen in den USA steigt. Die Lohnsteigerungen werden daher für einige Quartale wohl höher bleiben, als es mit dem Stabilitätsziel der Fed kompatibel ist.
Weniger starke Impulse werden in den kommenden Monaten wohl von der staatlichen Aktivität ausgehen, die in den vergangenen Monaten über steigende Transferzahlungen der Sozialversicherungen und rückläufige Steuereinnahmen einen kräftigen Aufwärtsschub für die verfügbaren Einkommen gebracht hat. Große Bedeutung für die Konsumkonjunktur hat auch die Verfügbarkeit einer großen Sparreserve, die in den Jahren der Covid-Pandemie aufgebaut wurde. Ein Großteil diese Überschussersparnis ist zwar bereits mobilisiert worden, aber nach überschlägiger Schätzung dürften zumindest für die wohlhabenderen privaten Haushalte in den USA in der Summe noch rund 500 Mrd. Dollar verfügbar sein.
Von besonderer Bedeutung für die Konsumkonjunktur ist die Entwicklung der Inflation und der Kaufkraft. Der Rückgang der Inflationsrate auf 3 % im Juni ist eine gute Voraussetzung für eine Belebung des Konsums. Da sich die Stabilisierung des Preisniveaus im weiteren Jahresverlauf und in 2024 fortsetzen dürfte, sollte der private Konsum trotz der Abschwächung am Arbeitsmarkt ansteigen.
In den Bereichen der Investitionstätigkeit gibt es viel Licht und Schatten
Es mehren sich die Zeichen, dass die Talsohle bei den Bauinvestitionen nach starken Rückgängen in den vergangenen Quartalen durchschritten sein sollte. Im Wohnungsbau ist das Angebot an bestehenden Einheiten recht gering und die Neubauaktivität beginnt trotz der hohen Finanzierungskosten bei Mehrfamilien- und Einfamilienhäusern zu steigen. Im gewerblichen Bereich sind die Investitionen im Ganzen sehr verhalten gewesen, in einigen Marktsegmenten wie etwa beim Bau neuer Fabriken für elektrische Mobilität und Computer Chips steigen die nominellen Bauinvestitionen aber rasant an. Dabei spielen Subventionen der öffentlichen Hand eine wesentliche Rolle.
Auch bei den Ausrüstungsinvestitionen sind in einem noch schwachen Umfeld einzelne Wachstumstendenzen zu sehen, so etwa bei Computer-Ausrüstungen oder den Bestellungen nichtmilitärischer Flugzeuge. Bei den Lagerinvestitionen dürfte der konjunkturbremsende Rückbau der in 2022 aus Vorsichtsgründen aufgebauten hohen Lagerbestände allmählich auslaufen.
Ein sehr langsames Wachstum ist das wahrscheinliche Szenario
Alles in allem ist somit nicht zu erwarten, dass die US-Wirtschaft in den kommenden anderthalb Jahren in eine starke Rezession abgleitet. In 2023 dürfte ein Wachstum von 1,8 % und 2024 von 1,1 % zu erwarten sein. Das ist das wahrscheinliche Szenario eines sehr langsamen Wachstums (unterhalb des Trends) mit leicht steigender Arbeitslosigkeit. Gemessen an der Stärke der Zinserhöhungen wäre eine solche Entwicklung gewiss noch als sanfte Landung anzusehen. Die Hauptrisiken für diese Prognose bestehen darin, dass die Inflation hartnäckig hoch bleibt, damit weitere kräftige Zinssteigerungen notwendig werden, die erneute Stresssituationen an den Finanzmärkten hervorrufen und damit doch eine Rezession nach sich ziehen.
Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die bereits angelegte Abkühlung der Konjunktur und des Arbeitsmarktes zusammen mit der erfolgten Korrektur der Energiepreise zu einem Rückgang der Inflation führen wird und damit weitere stärkere Zinssteigerungen der amerikanischen Notenbank unnötig machen. Dass nach dem erwartbaren Zinserhöhungsschritt Ende Juli noch weitere Schritte folgen, ist eher unwahrscheinlich. Für die Aktienmärkte ist der Rückgang der Inflation und das absehbare Ende der Zinssteigerungen ein positives Gegengewicht zur Abkühlung der Konjunktur und den bereits deutlich sichtbaren Bremseffekten bei den Unternehmensgewinnen.
Was dieses Szenario für Aktien und Anleihen bedeutet
Da dieses Bild auch die aktuellen Marterwartungen einigermaßen beschreiben sollte, dürften sich die Aktienkurse unter Schwankungen zunächst eher seitwärts entwickeln. Stattliche Gewinne wie im ersten Halbjahr 2023, sind im weiteren Verlauf des Jahres kaum zu erwarten. Auch an den Anleihemärkten dürften in den kommenden Monaten keine neuen Kurstrends beobachtbar sein. Die Erwartung, dass die Leitzinsen in 2024 wieder deutlich zurückgehen werden, ist weiterhin als optimistisch anzusehen. Bleiben die Leitzinsen etwas länger auf dem erhöhten Plateau, werden auch die längerfristigen Renditeerwartungen bei Anleihen etwas steigen.
Bei rückläufiger Inflation werden die Renditen kurzlaufender sicherer Anleihen am US-Markt in absehbarer Zeit wieder einen realen Ertrag bringen. Bei Aktieninvestitionen sind vermutlich keine schnellen Gewinne zu machen, aber mit einer Überwindung der aktuellen Konjunkturschwäche dürfte in den kommenden zwei drei Jahren wieder ein ordentliches Ertragspotential gegeben sein.
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