Die großen Notenbanken haben ihre Politik darauf ausgerichtet, die Zinsen für Staatsanleihen niedrig zu halten und allen Akteuren günstige Finanzierungsbedingungen zu sichern. Dadurch haben sie die Märkte gegenüber äußeren Schocks widerstandsfähig gemacht. Diese Fähigkeit dürfte im Zuge der höheren Inflation in den nächsten Monaten abnehmen. Was Investoren jetzt beachten sollten.

Die Finanzmärkte scheinen seit der Überwindung der Corona-Krise im Frühjahr 2020 nur eine Richtung zu kennen. Der S&P 500 hat sich seit März letzten Jahres praktisch verdoppelt, der DAX immerhin 80 % hinzugewonnen. Auch auf den Märkten für Unternehmensanleihen, privaten Verschuldungs- oder Beteiligungsmärkten und bei Immobilien geht die Richtung nach oben. Negative Entwicklungen, wie neue Wellen der Pandemie oder Meldungen über Produktionsengpässe oder Kostensteigerungen, haben die Märkte nicht von ihrem Aufwärtskurs abgebracht. So haben die letzten anderthalb Jahre den Anleger gute Erträge beschert. Allerdings steigt mittlerweile die Sorge, dass nunmehr mit deutlichen Korrekturen zu rechnen ist. Ob das so kommt, hängt vor allem davon ab, was von den großen Notenbanken zu erwarten ist.

Denn die hohen Bewertungen von Aktien oder risikobehafteten Unternehmensanleihen sind auch eine Folge der anhaltend expansiven Geldpolitik, die die Zinsen auch für sichere Staatsanleihen auf sehr niedrigem Niveau hält. Aktien mögen im historischen Vergleich teuer erscheinen, wenn man etwa ihre Kurs-Gewinn-Verhältnisse vergleicht, aber in Relation zu den minimalen Renditen von sicheren Staatsanleihen sehen sie keinesfalls überteuert aus. Und was für Aktien- und Unternehmensanleihen gilt, trifft auch risikobehaftete Unternehmensanleihen oder Immobilien zu.

Die Notenbanken sehen die Entwicklung eher zuversichtlich. Zu Recht?

Dreh- und Angelpunkt für die möglichen Wendungen von Zinsen und Geldpolitik ist die voraussichtliche Entwicklung der Inflation. Stärkere und nachhaltige Inflationstendenzen würden die Geldpolitik zu deutlichen Kurskorrekturen zwingen und ihr den Handlungsspielraum nehmen, um die Finanzmärkte gegenüber negativen Entwicklungen abzuschotten. Die Notenbanken sehen die Entwicklung eher zuversichtlich. Die derzeitigen Inflationstendenzen seien vorübergehend, weil sogenannte Basiseffekte nach der Corona-Krise ausliefen und nicht dauerhaft mit einem starken Auftrieb der Rohstoffpreise sowie mit Engpässen beim Güterangebot zu rechnen sei.

Kommt es so, wäre allenfalls mit leichten Korrekturen einer weiterhin expansiven Politik zu rechnen. Das ist auch die Sicht der Akteure an den Finanzmärkten, deren Inflationserwartungen für die nächsten Jahre deutlich unter den aktuellen Inflationsraten liegen und die nur einen sehr langsamen Anstieg der Kapitalmarktrenditen erwarten.

Diese zuversichtliche Einschätzung könnte aber auf den Prüfstand geraten, wenn, wie in den vergangenen Monaten, weitere negative Inflationsüberraschungen drohen, etwa weil die vielfältigen Angebotsengpässe nicht schnell überwunden werden können und ein stärkerer Kostenauftrieb durch höhere Lohnsteigerungen hinzukommt. Man muss nicht gleich in Extremszenarien einer Preis-Lohnspirale wie in den 1970er Jahren denken. Aber ein erhöhter Lohnkostendruck ist doch recht wahrscheinlich, da in vielen Wirtschaftssektoren Knappheit an Arbeitskräften herrscht und die Arbeitnehmer für die bereits eingetretenen Kaufkraftverluste einen Ausgleich fordern und – angesichts einer anhaltenden Konjunkturerholung – wohl auch durchsetzen dürften.

Eine abrupte Trendumkehr an den Finanzmärkten ist aktuell nicht zu befürchten

Anleger sind gut beraten, mit höherer Volatilität an den Märkten, also mit häufigeren Rücksetzern zu rechnen und die Inflationsdynamik genau zu beobachten. Risiken, wie etwa die Entwicklungen in China oder denkbare neue Wellen der Pandemie werden bei erhöhten Preisniveausteigerungen nicht in gewohntem Umfang durch die Geldpolitik abgefedert werden können. Die Anfälligkeit der Märkte gegenüber negativen Entwicklungen dürfte größer werden. Eine abrupte Trendumkehr an den Finanzmärkten ist deswegen aber nicht zu befürchten. Dazu bedürfte es eines derart starken Inflationsanstiegs, dass sich die Zentralbanken zu restriktiven Maßnahmen wie deutlichen Zinssteigerungen oder einem abrupten Zurückfahren der Anleihekäufe veranlassen sehen könnten. Dies ist ein Risikoszenario, dessen Wahrscheinlichkeit wohl allenfalls im einstelligen Bereich liegen dürfte.

Gegen einen stärkeren Abwärtstrend an den Finanzmärkten spricht auch die Tatsache, dass die Banken insgesamt stabiler dastehen, als nach der großen Finanzkrise 2008/2009. Ihre Eigenkapitalausstattung und ihre Risikotragfähigkeit sind weitaus größer als das damals der Fall war. Auch die Verschuldung des privaten Sektors, insbesondere der privaten Haushalte, ist nicht so hoch wie vor der großen Finanzkrise und sie kann angesichts des seit Jahren niedrigen Zinsniveaus leichter bedient werden. Richtig ist allerdings, dass viele Risiken in den vergangenen Jahren in den weniger regulierten Nicht-Bankenbereich verlagert worden sind. Finanzierungsgeschäfte werden heute in beachtlichem Umfang in privaten Märkten abgewickelt, in den Private-Equity-Häuser und Hedgefonds eine große Rolle spielen. Auch haben sich die Anleger über die Jahre in risikoreichere und weniger liquide Kredit- und Anleihemärkte vorgewagt, da mit besten Bonitäten kaum noch eine Rendite zu erzielen ist. Ein allgemeiner Zinsanstieg könnte in diesen Märkten also erhebliche Rückwirkungen haben.

Drei Punkte, auf die Investoren jetzt achten sollten

Erstens dürften angesichts der erhöhten Preissteigerungen weiterhin erhebliche Mittel in realwertgesicherte Anlagen wie Aktien, Beteiligungen oder Immobilien fließen. Auch wenn deren Bewertungen bei einem graduellen Zinsanstieg zeitweise unter Druck kommen könnten, sind die langfristigen Renditeperspektiven günstiger als bei festverzinslichen Papieren. Das „TINA-Motiv“ der Anlage zieht nach wie vor: „there is no alternative“.

Zweitens ist aufgrund der graduellen Normalisierung der Geldpolitik mit deutlicheren Kursschwankungen zu rechnen. Die Geldpolitik wird die Finanzmärkte nicht mehr in dem Maße gegenüber auftretenden Risiken abschotten können, wie das im Jahr 2020 mit zeitweise negativen Preissteigerungen möglich war. Auf der „Watchlist“ der Anleger sollten also nicht nur denkbare exogene Risiken, sondern vor allem die Entwicklungen der Inflation stehen, die den Handlungsspielraum der Geldpolitik wesentlich einengen können. Frühindikatoren werden sich im Bereich der Rohstoffmärkte, der Lohnverhandlungen und der Preiserwartungen der Unternehmen zeigen.

Drittens ist eine Crash-Gefahr, die den Höhenflug der Finanzmärkte abrupt beendet und eine Trendumkehr einleitet, derzeit nicht sehr wahrscheinlich. Dazu bedürfte es wohl einer ziemlich massiven Kehrtwende der Geldpolitik, die sich in der aktuellen Situation nicht abzeichnet und ein Hochschnellen der Inflation voraussetzen würde.

Fazit

Ein zentrales Element für den starken Finanzaufschwung seit der Corona-Krise ist zweifellos in der expansiven Geldpolitik zu sehen. Die großen Notenbanken der Welt haben ihre Politik darauf ausgerichtet, die Zinsen für Staatsanleihen niedrig zu halten und günstige Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen und die privaten Haushalte zu sichern. Sie haben die Märkte gegenüber äußeren Schocks durch die Zusicherung niedriger Zinsen und unbegrenzter Liquidität widerstandsfähig gemacht. Ihre Fähigkeit, das zu tun, wird im Zuge der höheren Inflation in den nächsten Monaten aber abnehmen.

Trotz aller Unwägbarkeiten und der unbekannten Risiken, die die Finanzmärkte bewegen können, erscheint es nicht ratsam, sich auf eine baldige Trendumkehr einzustellen. Zwar ist es richtig, die Renditeerwartungen angesichts sehr hoher Bewertungen zu reduzieren und mit höherer Volatilität zu rechnen. Die Bäume werden nicht in den sprichwörtlichen Himmel wachsen können. Aber auch bei deutlich schwächerem Aufwärts-Momentum und stärkerem Auf und Ab der Börsen bieten sich Chancen für langfristig orientierte Anleger.

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Dr. Michael Heise
Chefökonom
HQ Trust
Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Michael Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.
Inhaltsverzeichnis
  1. Die Notenbanken sehen die Entwicklung eher zuversichtlich. Zu Recht?
  2. Eine abrupte Trendumkehr an den Finanzmärkten ist aktuell nicht zu befürchten
  3. Drei Punkte, auf die Investoren jetzt achten sollten
  4. Fazit