Die angespannte Lage am Roten Meer hält an: Die Huthis greifen weiter Schiffe an, die USA Huthi-Ziele im Jemen. Im Interview spricht Dr. Michael Heise über mögliche Folgen für die deutsche und die Weltwirtschaft, die Inflationsraten und darüber, was Deutschland nun tun sollte.

Herr Dr. Heise, der Konflikt im Roten Meer spitzt sich weiter zu – mit Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. So stoppte beispielsweise Tesla die Produktion seiner E-Autos in Grünheide, weil Akkus vom Lieferanten BYD spät ankommen…

Auch wenn die Automobilindustrie aufgrund der vorübergehenden Produktionsstilllegung bei Tesla besonders in den Schlagzeilen steht, werden andere Branchen ebenso betroffen sein, deren Wertschöpfungsketten und Lieferketten globalisiert und eng mit Asien verzahnt sind. Elektronikbauteile, Maschinen, Mobiltelefone, Solarpanel, medizinische Produkte, Getreide – verschiedenste Güter werden durch den Suezkanal transportiert, die in den verschiedensten Branchen gebraucht werden.

Immerhin haben sich viele Branchen seit Beginn des Ukrainekriegs um eine Diversifizierung ihrer Handelsströme bemüht. Hilft Ihnen das in der aktuellen Situation?

Die Diversifizierung der Handelsströme hat sicherlich etwas geholfen, aber sie hat nur begrenzte Relevanz in der aktuellen Krise. Trotz größerer Diversifikation wird der Handel mit Asien auch in Zukunft sehr bedeutsam sein. Eine Blockade der Schifffahrtswege wird damit weiterhin erhebliche Folgen nach sich ziehen.

Natürlich ist nicht nur Deutschland betroffen. Mit welchen Folgen für die Weltwirtschaft rechnen Sie?

Erneute Probleme bei den Lieferketten und die Verteuerung von Vorprodukten werden eine Erholung des Welthandels, der im Jahre 2023 stark rückläufig war, weiter verzögern. Der Einbruch der Frachtmenge durch den Suezkanal hat den Welthandel schon im Dezember nach Informationen des IfW Kiel um 1,3 % zurückgehen lassen. Exportorientierte Volkswirtschaften in Europa und Deutschland werden eine besondere Bremswirkung spüren. Der Rückgang der Lieferungen wird nur mit einigem Zeitverlust aufgrund längerer Transportrouten und mit höheren Kosten wieder wett gemacht werden können.

Rechnen Sie mit Blick auf die Weltwirtschaft mit einer Zunahme von Polarisierung und Tendenzen, die in Richtung Deglobalisierung gehen?

Die politische Konfliktlage im Nahen Osten ist sehr komplex und nicht leicht zu durchschauen. Russland, China und der Iran haben sich den westlichen Positionen nicht angeschlossen, meiden aber bislang eine weitergehende politische Konfrontation. Alle diese Länder haben neben politischen auch wirtschaftliche Interessen in der Region, die sie wohl nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollten. Im Ganzen dürfte der Konflikt jedoch die Trennlinien zwischen den diktatorischen und autokratischen Staaten sowie den westlichen Demokratien und Japan eher verfestigen. Weniger Kooperation und weniger Arbeitsteilung sind keine guten Nachrichten für das Wachstum der Weltwirtschaft.

Und dann kommen auch noch die Folgen eines steigenden Ölpreises hinzu …

Das ist richtig. Die Risiken für die Ölpreisentwicklung sind erheblich. Sollte der Iran, der die antiisraelischen Kräfte in der Region unterstützt, in den militärischen Konflikt eingreifen oder einbezogen werden, wäre eine erhebliche Erhöhung des Ölpreises zu erwarten. Allein potenzielle Drohungen, die Straße von Hormus zu blockieren, würden sehr große Auswirkungen haben.

Was bedeuten die höheren Preise für die Inflationsraten, die ja zuletzt schon wieder leicht gestiegen waren?

Der Einfluss auf die Inflationsraten dürfte spürbar sein, erstens, weil die Frachtraten für Gütertransport massiv erhöht sind und auch nicht zurückgehen dürften, solange erhebliche Transportkapazität durch die Umleitung von Fracht gebunden ist und zweitens, weil auch vorübergehende Angebotsknappheiten bei Vorprodukten oder Endprodukten zu Preissteigerungen führen, wie wir es ja in der COVID-Krise beobachten konnten.

Dann hängt alles von der Dauer der Angriffe und der Unsicherheit im Roten Meer ab?

Das sehe ich so. Die Lage wird auch Auswirkungen auf die Entscheidungen der Notenbanken haben: Eine Lockerung der Geldpolitik dürfte eher später kommen, wenn die Sicherheitslage im Roten Meer noch für Wochen oder Monate so angespannt bleibt.

Was kann die deutsche Politik dazu beizutragen, dass es nicht dazu kommt?

Aus meiner Sicht ist eine Beteiligung Deutschlands am militärischen Schutz der Handelsrouten notwendig. Wir sind in besonderem Maße vom freien Welthandel abhängig und dürfen nicht anderen die Arbeit überlassen, dies sicherzustellen. Allerdings müssen auch politische Bemühungen zur Beilegung der Krise im Nahen Osten verstärkt werden. Nur dann ist eine gesellschaftliche Akzeptanz eines Militäreinsatzes zu erwarten.

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Dr. Michael Heise
Chefökonom
HQ Trust
Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Michael Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.