Hohe Inflation, Energieprobleme, steigende Zinsen: Das vergangene Jahr hat Verbrauchern viel abverlangt. Welche Probleme werden uns erhalten bleiben, wo zeichnen sich Lösungen ab? Dr. Michael Heise wagt einen Ausblick auf 2023.
2022 war ein Jahr, das mit vielen Hoffnungen begonnen hatte, am Ende aber neue Belastungen und Unsicherheiten gebracht hat. Die weltpolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres werden noch lange zu spüren sein. Wird das Jahr 2023 dennoch durch eine Art Normalität geprägt sein oder zeichnen sich trotz der vieler Unsicherheitsquellen Trendwenden ab? Hier kommen 5 Thesen von HQ Trust-Chefökonom Dr. Michael Heise.
These 1: Der aktuelle Pessimismus ist zu groß
Natürlich sind die sich überlagernden Krisen noch nicht überwunden und werden auch zu Beginn des Jahres 2023 dämpfende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Blickt man jedoch auf das Gesamtjahr 2023, ist vor übertriebenem Pessimismus zu warnen. Zahlreichen Belastungen für die Konjunktur stehen auch stabilisierende Momente gegenüber. Von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise, die nach starken Übersteigerungen im Frühsommer inzwischen deutlich korrigiert haben und in den meisten Ländern zu einem Rückgang der hohen Inflationsraten geführt haben. Auch wenn die Prognoseunsicherheiten aufgrund der geopolitischen Konflikte derzeit sehr hoch sind, werden neue Preisspitzen an den Rohstoffmärkten in dem schwächeren gesamtwirtschaftlichen Umfeld eher unwahrscheinlich sein.
Zu den konjunkturstabilisierenden Faktoren zählen auch die teilweise recht großdimensionierten Entlastungsprogramme der Regierungen, mit denen die Verluste an Kaufkraft und die Kostenbelastungen für die Unternehmen begrenzt werden. Zur Stabilisierung des Konsums trägt ferner bei, dass die privaten Haushalte über eine hohe aufgestaute Ersparnis aus den Zeiten der Covid-Lockdowns in 2020 und 2021 verfügen. Und auch die Arbeitsmärkte der meisten entwickelten Märkte geben ein robustes Bild ab. Sie sind durch eine hohe Arbeitskräftenachfrage und durch rückläufige Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr gekennzeichnet.
These 2: Wir werden weiter stark in Richtung Ukraine blicken (müssen)
Bei allem Optimismus gibt es natürlich auch Risikoszenarien. Stark negative Entwicklungen wären etwa in einem Szenario zu erwarten, bei dem der Ukrainekrieg eskaliert und damit neue Verwerfungen an den globalen Energiemärkten auslöst. Drastisch steigende Energiepreise würden die Inflationserwartungen schüren und die Zentralbanken zu weiteren restriktiven Maßnahmen veranlassen. Rezessive Kräfte würden endgültig die Oberhand gewinnen.
Ein solches Szenario dürfte allerdings eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben, denn eine Eskalation der Kampfhandlungen ist weder im Interesse des Westens noch im Interesse Russlands, das seine militärischen und machtpolitischen Ziele in der Ukraine bisher verfehlt hat. Ein positives Szenario könnte sich dagegen entwickeln, wenn es in naher Zukunft zu Waffenstillstandsverhandlungen kommen sollte. Momentan erscheint auch das nicht sehr wahrscheinlich. Denkbar ist es aber schon, weil immer klarer wird, dass weder die Ukraine noch Russland ihre Ziele vollumfänglich erreichen können. Käme es im Rahmen eines Waffenstillstands auch zu einer Wiederaufnahme von russischen Gaslieferungen in die bisherigen Abnehmerländer Europas, wäre eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu erwarten.
These 3: Die Inflation sollte deutlich zurückgehen
Die voraussichtliche Entwicklung der Kapitalmärkte hängt allerdings nicht nur von der Konjunktur ab, sondern ganz maßgeblich auch von der Entwicklung der Inflation und dem Kurs der Geldpolitik. In den Ländern der Europäischen Währungsunion ist die Entwicklung der Inflation ganz entscheidend von den zukünftigen Energiepreisen bestimmt. Bleiben die Preise für Rohöl, Gas und Strom in etwa auf den derzeitigen hohen Niveaus und steigen nicht weiter an, ist allein aus diesem Grund mit einem deutlichen Rückgang der Verbraucherpreisinflation zu rechnen.
Preisdämpfend wirkt auch, dass die Angebotsengpässe, die in den Zeiten von Covid-Beschränkungen vielfach zu Produktionsausfällen und langen Lieferzeiten führten, inzwischen wieder deutlich zurückgegangen sind. Insgesamt dürfte die Inflation in der Europäischen Währungsunion daher von etwa 8,5 % im Jahr 2022 auf 6,5 % in 2023 zurückgehen. In den USA spielen die verhältnismäßig niedrigen Energiepreise eine weitaus geringere Rolle. Hier sind vor allem die binnenwirtschaftlichen Güterpreise durch eine hohe Nachfrage bei gleichzeitigen Angebotsengpässen kräftig angestiegen. Die Inflationsrate dürfte in den USA in 2022 rund 8 % und in 2023 etwa 4 % betragen. Zu dem Rückgang der Inflation trägt auch die deutliche Kehrtwende der Geldpolitik in den entwickelten Ländern und vielen Schwellenländern bei.
These 4: Vorerst ist mit weiteren Zinssteigerungen zu rechnen
Die Finanzmärkte haben schon in den vergangenen Monaten immer wieder mal auf ein langsameres Tempo oder ein Ende der Zinssteigerungen durch die Notenbanken spekuliert und die Bewertungen von Anleihen und Aktien entsprechend steigen lassen. Diese Zwischenrallys haben sich als verfrüht erwiesen. Die Notenbanken werden wohl zwei oder drei weitere Monate mit deutlich rückläufigen Inflationsraten – und zwar auch ohne die Preise für Energie und Lebensmittel – abwarten wollen, ehe sie ein Ende der Zinssteigerungen in Aussicht stellen.
Wann dieser Zeitpunkt gekommen sein wird, ist unsicher. Vorerst ist mit weiteren Zinssteigerungen zu rechnen, auch wenn diese bei schwacher konjunktureller Entwicklung immer kleiner ausfallen sollten. Die Entwicklung der Kapitalmarktrenditen und der Aktienkurse sollte daher in den nächsten Monaten volatil bleiben. Bei den Anleiherenditen ist nach dem deutlichen Rückgang im Oktober und November 2022 im Zuge weiterer Zinssteigerungen der Notenbanken mit leichten Aufwärtstendenzen zu rechnen.
These 5: Für Anleger sollten wieder günstige Kapitalmarktperspektiven gegeben sein
Die Vermögensmärkte sind nach den Kursrückgängen des Jahres 2022 nicht mehr generell überteuert, und mit der Wiederkehr deutlich positiver Zinsen ergeben sich Anlagealternativen. Der „Anlagenotstand“ vergangener Zeiten, mit dem die Überbewertung praktisch aller Finanzmarktsegmente gemeint war, hat sich weitgehend aufgelöst. Aktien und Beteiligungen bieten als sachwertorientierte Investitionen einen gewissen Inflationsschutz und bieten trotz erhöhter Zinsen eine nennenswerte Risikoprämie gegenüber sicheren Rentenpapieren. Festverzinsliche Wertpapiere sind ihrerseits aus Renditeperspektiven wieder interessanter geworden und sie bieten einen Sicherheitspuffer mit Ertragspotential im Falle schlechterer Wirtschaftsentwicklungen.
Deutliche Veränderungen könnten sich in 2023 auch bei den Devisenkursen ergeben. Der Euro könnte über das Jahr gesehen zumindest leichte Gewinne gegenüber dem US-Dollar erzielen, da die amerikanische Notenbank aufgrund stärker rückläufiger Inflation wohl vor der Europäischen Zentralbank die Zinssteigerungen beenden sollte. Sehr wahrscheinlich ist es auch, dass die Bank von Japan ihren noch immer sehr expansiven Kurs korrigieren und moderat steigende Zinsen in Kauf nehmen wird, nachdem auch in Japan die Inflationsraten recht deutlich und die Inflationserwartungen zumindest moderat gestiegen sind. Die im Jahr 2022 sehr starke Abwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar und in abgeschwächter Form auch gegenüber dem Euro dürfte sich damit umkehren.
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