In Anbetracht steigender Inflationsraten hat die Europäische Zentralbank ihre Projektionen für die Verbraucherpreise genauso erhöht wie ihre Konjunkturprognosen. Dr. Michael Heise hält die erhöhten Zahlen immer noch für moderat und warnt vor den Risiken einer zu expansiven Geldpolitik.
Trotz des Anstiegs bewegt sich die Inflationsrate in der EWU auf einem niedrigeren Niveau als in den USA, die preistreibenden Mechanismen sind jedoch dieselben: Energie- und Rohstoffpreissteigerungen, Angebotsengpässe, hohe Transportkosten und kräftige Nachfragesteigerungen werden die Inflationsraten in den kommenden Monaten auf Werte über 3 % ansteigen lassen.
Mit der Zeit werden Engpässe und Angebotseinschränkungen im verarbeitenden Gewerbe allerdings überwunden werden und auch der preistreibende Nachholbedarf bei den Dienstleistungen wird nicht dauerhaft sein. Dann wird der starke Aufwärtsdruck auf die Preise nachlassen und die Inflationsraten wieder auf zielkonforme Werte um die 2% sinken lassen. Viel hängt davon ab, ob die Lohnforderungen im nächsten Jahr angesichts sinkender Kaufkraft und steigender Unternehmensgewinne höher als in den vergangenen Jahren ausfallen. Insgesamt erscheinen auch die leicht erhöhten Inflationsprojektionen der EZB für die Jahre 2021 bis 2023 eher als Untergrenze für die wahrscheinliche Entwicklung.
Die EZB bleibt vorerst bei der expansiven Ausrichtung ihrer Geldpolitik und setzt die Anleihenkäufe fort
Da die EZB schon bald mit einer Rückkehr zu Inflationsraten unterhalb ihres Zielwertes rechnet, bleibt sie bei einer expansiven Ausrichtung der Geldpolitik und setzt die Käufe von Anleihen im Rahmen des PEPP-Programms fort. Angesichts der im Euroraum noch moderaten Konjunktur- und Inflationsdynamik und eines festen Euro-Wechselkurses hat die EZB einer Diskussion über einen Ausstieg aus den Anleihekaufprogrammen eine Absage erteilt. Langfristige Refinanzierungsprogramme für die Wirtschaft und negative Einlagenzinsen werden beibehalten.
Den Finanzmärkten wurde mit der Fortsetzung der Anleihekäufe und mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit weiterhin günstige Finanzierungsbedingungen zu sichern, eine Art Zusicherung gegeben, dass die Geldpolitik sehr expansiv bleibt und wohl auch steigenden Kapitalmarktrenditen oder nachgebenden Aktienmärkten entgegentreten würde.
Die Debatte über einen Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik wird in den kommenden Monaten intensiver werden
Geldpolitik ist stets als eine Abwägung von Chancen und Risiken zu sehen. Für die EZB scheint derzeit das Risiko einer vorbeugenden Straffung der Politik zu hoch zu sein. Allein Hinweise darauf werden vermieden, weil sie zu steigenden Kapitalmarktrenditen und Rückgängen bei Aktienbewertungen und Immobilien führen könnten, was die Konjunkturerholung nach der Corona-Krise abbremsen würde.
Die Politik der anhaltenden Expansion birgt aber Risiken. Werden die monetären Bedingungen zu lange zu locker zu gehalten, drohen nicht allein Übertreibungen an den Finanzmärkten durch sehr hohe Risiko- und Verschuldungsbereitschaft der Marktteilnehmer, sondern auch ein weiterer unerwünschter Anstieg der Inflationserwartungen. Beide Entwicklungen können das Wachstum in mittelfristiger Sicht abwürgen und rezessive Kräfte verstärken. Die Extremfälle der vergangenen zwei Jahrzehnte, wie etwa die Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausends oder die Subprime-Krise vor 13 Jahren, haben gezeigt, wie groß die Risiken für Wachstum und Wohlstand sind, wenn krasse Übertreibungen an den Finanzmärkten stattfinden. Für die Geldpolitik kann es also wichtig und richtig sein, sich bei Finanzmarkteuphorie gegen den Wind zu lehnen und gewisse Erhöhungen der Kapitalmarktrenditen und der Risikoprämien an den Märkten zu tolerieren.
Fazit
Man kann es in der aktuellen Situation nachvollziehen, dass die EZB den Zeitpunkt für die Diskussion über eine Kehrtwende der Politik vermeiden will. Sie befindet sich damit in guter Gesellschaft der amerikanischen Notenbank, die ebenfalls eine Debatte über mögliche Korrekturen unterdrückt hat, um eine Vorwegnahme an den Finanzmärkten zu vermeiden. Klar ist aber, dass diese Debatte sowohl in den USA als auch im Euroraum schon bald kommen wird.
Denn in den kommenden Monaten sind weiter anziehende Inflationsraten absehbar, die die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten und bei den Konsumenten eher erhöhen und verfestigen werden. Zudem kündigt ein überaus kräftiges Wachstum der Geldmenge deutliche Nachfragesteigerungen an. Der äußerst akkommodierende Kurs der Geldpolitik wird in diesem Umfeld überprüft werden müssen. Angesichts der sehr hohen Bewertungen vieler Vermögenstitel und der sehr hohen Finanzierungsbedürfnisse der öffentlichen Haushalte können schon leichte Korrekturen der Geldpolitik Marktbewegungen auslösen. Im Interesse einer mittelfristig stabilen Entwicklung müssen sie dennoch stattfinden.
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