Die gesamtwirtschaftliche Leistung liegt weiter klar unter dem Vorkrisenniveau. Wie es weitergeht, hängt auch von den politischen Reaktionen auf die Delta-Variante und den Entscheidungen der zukünftigen Bundesregierung ab, sagt Dr. Michael Heise.
Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist nach einer ersten offiziellen Berechnung im zweiten Quartal um 1,5 gegenüber dem 1.Quartal angestiegen. Damit wurde der Rückschlag von 2,1 % im ersten Quartal nur teilweise ausgeglichen. Weiterhin liegt die gesamtwirtschaftliche Leistung klar unter dem Vorkrisenniveau im vierten Quartal 2019.
Zwar stehen detaillierte Angaben zur Zusammensetzung der wirtschaftlichen Aktivität noch aus. Das Statistische Bundesamt gab jedoch bereits den Hinweis, dass vor allem die privaten und staatlichen Konsumausgaben zum Anstieg des BIP beigetragen haben.
Wie ein Seismograf bildet das Bruttoinlandsprodukt die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ab. So wie der Lockdown der Wintermonate in eine rezessive Entwicklung führte (double dip), hat die Öffnung von Gastronomie und Einzelhandel im Verlaufe des zweiten Quartals zu einem kräftigen Anstieg der Dienstleistungsnachfrage geführt. Der reale Umsatz im Einzelhandel ist vom ersten auf das zweite Quartal um 4,7% gestiegen, die realen Umsätze im Gastgewerbe haben nach dem tiefen Einbruch im vierten Quartal 2020 (-42,7 %) und im ersten Quartal 2021 (-27,4 %) vermutlich wieder mit einer zweistelligen Rate zugelegt.
Positiver Beitrag vom Baugewerbe – aber nicht von der Industrie
Einen positiven Beitrag hat wohl auch die Wertschöpfung im Baugewerbe geleistet. Die Bauproduktion, die aufgrund ungünstiger Witterung und – vor dem Hintergrund der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer – des Vorziehens von Aktivitäten in das Jahr 2020 im ersten Quartal noch deutlich gesunken war (-4,2 %), lag im zweiten Vierteljahr um 2,3% über dem Stand des ersten Quartals.
Keine positiven Beiträge konnte dagegen die Industrie leisten, die in der zweiten Jahreshälfte 2020 noch wesentliche Triebkraft für Wachstum war. Die Schwäche der Industrie ist nicht auf der Nachfrageseite, sondern auf der Angebotsseite der Wirtschaft begründet. Denn trotz guter Auftragslage war die Industrieproduktion im zweiten Quartal sogar rückläufig (nach einer Stagnation im ersten Quartal), weil vielfältige Produktionsbehinderungen durch Materialknappheit und mangelnde Ausrüstungsgüter eine Ausweitung der Produktion verhindert haben.
Der Ausblick auf die Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf ist grundsätzlich positiv
Viel wird jedoch von der politischen Reaktion auf steigende Infektionszahlen abhängen, die mit der Ausbreitung der Delta-Variante in vielen Nachbarländern und zunehmend auch bei uns zu erwarten ist. Weitergehende pandemiebedingte Einschränkungen des Wirtschaftslebens wie Ausgangsbeschränkungen, zusätzliche Restriktionen für das Gastgewerbe und den Einzelhandel oder eine Home-Office-Pflicht würden den Ausblick erneut deutlich eintrüben.
Ohne gravierende Einschnitte im Hinblick auf Mobilität und Geschäftstätigkeit ist dagegen mit deutlichen Nachfragesteigerungen nach Dienstleistungen zu rechnen. Die Industrie dürfte in diesem wahrscheinlichen Szenario im zweiten Halbjahr wieder kräftig zum Wachstum beitragen, da sich Engpässe bei Materialien und Zwischenprodukten und sehr hohe Inputkosten allmählich mindern dürften. Die Unternehmen haben ein großes Auftragsbuch abzuarbeiten und sie werden zudem ihre Lagerhaltung nach Möglichkeit wieder auf ein normales Niveau erhöhen. Auch lässt der gemäß Umfragen in den letzten Monaten in der Tendenz gestiegene Auftragsbestand im Bauhauptgewerbe eine zunehmende Bautätigkeit erwarten.
Alles in allem sollte das Bruttoinlandsprodukt (ohne gravierende Lockdown-Maßnahmen) bereits im vierten Quartal das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben. Im Jahresdurchschnitt brächte das ein Wachstum von etwa 3,3 %.
Wichtige Entscheidungen der zukünftigen Bundesregierung
Die längerfristige Entwicklung der deutschen Wirtschaft hängt in erheblichem Maße von den wirtschaftspolitischen Entscheidungen der zukünftigen Bundesregierung ab. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Arbeitsplätze am hiesigen Standort liegen die zentralen Weichenstellungen wohl vor allem in den folgenden Bereichen: in der steuerlichen Belastung von Unternehmen und Arbeitnehmern, in den sozialpolitischen Entscheidungen, die für die weitere Entwicklung der hohen Beitragssätze der Unternehmen und der Arbeitnehmer für die Sozialkassen ausschlaggebend sind und in den umwelt- und energiepolitischen Strategien, die die Kostenrechnung der Unternehmen und ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber internationalen Wettbewerbern unmittelbar beeinflussen.
Die Programmatik der Parteien unterscheidet sich in diesen Fragen, ebenso wie in anderen wirtschaftlich relevanten Bereichen wie der Arbeitsmarktpolitik, der staatlichen Schuldenpolitik und nicht zuletzt der Europapolitik ganz beträchtlich. Nach wie vor werden aber die Kontroversen in diesen Sachfragen durch die Debatte über die richtige Covid-Strategie überlagert. Zieht man aus heutiger Sicht die Umfragen heran, die eine Regierung unter der Führung der CDU/CSU möglicherweise mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP denkbar machen (aber natürlich auch andere Konstellationen), wäre ein verhältnismäßig hohes Maß an Kontinuität zu der ausgehenden Legislaturperiode zu erwarten.
Eine durchgreifende Reformpolitik ist nicht zu erwarten
Es wäre wohl mit einem Verzicht auf deutliche Steuererhöhungen und weitere kostspielige Sozialprogramme sowie mit einer graduellen Konsolidierung der Staatsdefizite zu rechnen. Alleine daraus wird allerdings noch keine Dynamik in der Wirtschaft entstehen. Erforderlich wären vielmehr deutliche Reformen in der Steuer- und Sozialpolitik, sowie international abgestimmte und möglichst marktwirtschaftliche Instrumente in der Energie- und Klimapolitik.
Auch wenn sich diese Schlagworte in den Wahlprogrammen der Parteien mitunter finden lassen, ist eine durchgreifende Reformpolitik, wie sie zuletzt in den Jahren 2003 bis 2005 stattfand, nicht zu erwarten. Deutschlands längerfristiges Wachstum bleibt also in hohem Maße davon abhängig, was auf den Weltmärkten geschieht und ob andere Regionen der Welt ein kräftiges und anhaltendes Wachstum generieren können.
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